„Jeder Unfall im Gebirge ist per se ein Notfall."
Hermann Brugger im Gespräch über das wohl umfassendste Standardwerk zu Rettungseinsätzen im Gebirge.
Müde, aber glücklich. Hermann Brugger hält das neue Standardwerk in seinen Händen. © Hermann Brugger
Buchrezension von Wolfgang Lederer: Hermann Brugger, Ken Zafren und Luigi Festi, Hg., Mountain Emergency Medicine. Editorial Edra S.p.A.; 2021, 672 S., ISBN: 9788821447334.
Mit Spannung habe ich die erste Ausgabe des Buches Mountain Emergency Medicine von den HauptherausgebernHermann Brugger, Ken Zafren und Luigi Festi erwartet. Ein umfassendes Textbuch, geschrieben und herausgegeben von einigen der führenden Experten in der alpinen Notfallmedizin aus ganz Europa, aus den Vereinigten Staaten und aus Südafrika.
Schon der erste Eindruck ist sehr positiv. Ein breites Spektrum von Themen der alpinen Notfallmedizin wird vorgestellt. Von Trauma und medizinischen Notfällen über neurologische und psychiatrische Krankheiten bis hin zu Infektionen wird alles beschrieben, was beim Aufenthalt in großer Höhe und unter extremen klimatischen Bedingungen bei alpinen Einsätzen vorkommen kann. Kompetenz und individuelle Erfahrung der Autoren ermöglichen, dass die Informationen sachbezogen und relevant sind. Das Wissen ist aktuell und entspricht dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Die eindrucksvollen Fortschritte in der Entwicklung neuer Rettungstechnologien und in der Ausbildung von alpinen Rettungskräften in den letzten Jahrzehnten haben die Notwendigkeit erhöht, sowohl neue als auch etablierte Behandlungsverfahren in der alpinen Notfallmedizin wissenschaftlich zu evaluieren. Diese Untersuchungen erfolgen entweder unter kontrollierten experimentellen Bedingungen, z.B. in der terraXcube, oder vor Ort bei echten Notfällen unter vielen Einflußfaktoren. Im vorliegenden Buch gelingt eine ausgewogene Zusammensetzung von Grundlagenwissenschaft und klinischer Forschung.
Mountain Emergency Medicine ist ein einzigartiges Textbuch in ausgezeichneter Druckqualität. Zusätzlich gibt es auch die elektronische Form als E-Book, die einen schnellen Zugang zu Informationen und eine rasche Orientierung ermöglicht. Die Editierung ist knapp gehalten, die Abschnitte sind einheitlich gestaltet. Die einzelnen Kapitel gliedern sich in Epidemiologie, Pathophysiologie, Diagnostik, akute Interventionen und Behandlung. Sogar Informationen zur weiteren Versorgung im Krankenhaus und den Behandlungsergebnissen werden in einem eigenen Abschnitt angeboten. Die Diagnostik ist auf den klassischen Zugang beschränkt. Vermutlich werden Ultraschallbilder in der nächsten Ausgabe dieses Buches mehr Aufmerksamkeit finden. Die Unterkapitel sind gut angeordent und erleichtern die rasche Orientierung. Kurze Fallberichte beleben die Beschreibung der Maßnahmen. Das Bildmaterial über Notfälle und Vesorgung im extremen Gelände ist besonders eindrucksvoll. Wichtige Informationen werden auch in zahlreichen Tabellen übersichtlich dargestellt. Zusätzlich werden die Kerninformationen in “Take-Home Messages“ am Ende jedes Kapitels kurz zusammengefasst. Quellenangaben zu den relevantesten Zitierungen ermöglichen es dem Leser, noch detailliertere Informationen zu erhalten.
Der erste Abschnitt im Buch Mountain Emergency Medicine befasst sich mit allgemeinen Betrachtungen und der aktuellen Lage. Dann folgen die Bereiche Ausbildung und Übung, Ausrüstung, Behandlung und spezielles Hintergrundwissen. Die allgemeinen Betrachtungen beschränken sich auf Einleitung, Geschichte und einen Überblick über Herausforderungen in der Rettung. Der geschichtliche Rückblick ist zwar mehr auf die europäischen Erfahrungen zugeschnitten, aber Mut und Erfindungsreichtum der Helfer in den Anfängen der alpinen Rettung sind immer noch fesselnd. Die Kapitel 1 und 2 beschäftigen sich mit den Errungenschaften der Internationalen Kommission für Alpines Rettungswesen. Spezifische Informationen über Sicherheit und Risikomanagment befinden sich zu Beginn der Kapitel über die verschiedenen Versorgungen vor Ort. Informationen über Personal- und Ressourcenmanagement werden erst im letzten Abschnitt nach dem Kapitel über Großunfall bereitgestellt. Der mit Abstand größte Teil der Beiträge im Buch widmet sich den spezifischen Unterschieden bei der Versorgung vor Ort. Unfälle beim Höhlenforschen, Schluchtendurchqueren, Klettern, Tauchen, Bergwandern und Radfahren, Schifahren und Paragleiten unterscheiden sich im Verletzungsmuster und in den Versorgungsansprüchen. Das erfordert umfassendes Wissen der Rettungskräfte. Zuzsätzlich erschwert werden die Einsätze, wenn sie in abgelegenen Gegenden und schwierigem Gelände unter extremen Umweltbedingungen stattfinden. Unter den speziellen Bedingungen einer rauhen Umgebung wird gute Teamarbeit zur Grundvoraussetzung. Manchmal müssen auch die standardisierten Arbeitsabläufe der Notfalleinsätze durch improvisierte Problemlösungen ergänzt werden.
Mountain Emergency Medicine von Brugger, Zafren und Festi ist ein Lesevergnügen. Es behandelt die Grundprinzipien der alpinen Notfallmedizin und ist ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk. Es erfüllt die Ansprüche sowohl von angehenden als auch von ausgebildeten Notärzten, Notärztinnen und Sportmedizinern. Es liefert essentielle Informationen für Rettungspersonal, das sowohl bodengebunden als auch luftgebunden in der alpinen Rettung tätig ist. Das Buch fasziniert auch alljene, die sich der gemeinsamen Begeisterung für Bergwelt und unberührte Wildnis hingeben.
Mountain Emergency Medicine von Brugger, Zafren und Festi schließt eine Lücke zwischen den etablierten Notfallmedizin Büchern High Altitude Medicine and Physiology von Ward, Milledge und West und Alpin- und Höhenmedizin von Berghold et al. Einige Themen mögen bei diesen Büchern überlappend erscheinen, aber die vorliegende Ausgabe überzeugt den Leser durch die gelungene Aktualisierung von Wissen und Versorgungsgrundsätzen, die für die Arbeit in der alpinen Notfallmedizin unabdingbar sind. Mountain Emergency Medicine von Brugger, Zafren und Festi ist auf dem besten Weg das Standardlehrbuch für alpine Rettung zu werden.
W.Lederer M.D., DTM&H, CTCM&H, MSc(CTM)
Medizinische Universität Innsbruck
Christophorus Flugrettung
Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin
Katrin Pühringer
Lehnrain 30a
A - 6414 Mieming
Katrin: +43 664 4368247